Nivolas Postkarte: Eine Botschaft des sardischen Künstlers anlässlich der Versteigerung einiger seiner intimen Werke in Marseille
Wenn man sich diese Werke heute ansieht, ist es, als würde man eine verschlüsselte Nachricht aus einem Sardinien erhalten, das nicht mehr weiß, wie es mit sich selbst kommunizieren soll. Und das wird allzu oft nicht gewürdigt, wie es bei den prächtigen Marmorarbeiten in Cagliari in der Via Roma der Fall ist, die fast "vergessen" sind.Per restare aggiornato entra nel nostro canale Whatsapp
Osterwoche, Rückkehr nach Sardinien. Langsames Tempo für Cagliari, ruhiger Verkehr, strahlender Himmel wie immer. Ich halte vor dem Regionalpalast. Eine automatische, fast unbewusste Geste. Und doch habe ich jedes Mal das gleiche Knoten im Magen.
Denn dort, in die Fassade des Gebäudes an der Via Roma eingelassen, befinden sich einige der eindrucksvollsten und zugleich vergessensten öffentlichen Werke unserer Insel (und nicht nur): die zwischen 1958 und 1965 entstandenen Marmor-Skulpturen von Costantino Nivola mit den Titeln „Mutter Erde, Erbauerin, Tänzerin der Argia, Mutter Brot“. Es handelt sich nicht um einfache Figuren: Sie scheinen wie archaische Visionen aus den Wänden und Böden aufzutauchen, schwebend zwischen Erde und Kosmos. Sie erzählen intime Geschichten aus Sardinien – von alltäglichen Gesten, von Mühen, von Bindungen – doch in diesen essentiellen Formen pulsiert etwas Tieferes: das Mysterium des Lebens selbst, der Ursprung der Welt, als wären diese Körper die ersten, die aus dem Staub der Zeit auferstanden sind und das Geheimnis der Geburt, des Bauens, des Menschseins mit sich trügen.
Und doch stehen sie heute still da, als wüsste niemand mehr, wie man sie liest. Keine Schilder, höchstens ein verblasster Hinweis, aber keine brauchbare Spur für den unaufmerksamen Vorbeigehenden, der sich fragen könnte: Wer hat diese Werke gemacht? Was bedeuten sie? Warum bin ich hier?
Unterdessen macht sich Nivola anderswo erneut Gehör. Er tut dies auf unerwartete Weise: durch eine Auktion am 11. April in Marseille. Und wir sprechen hier nicht von diesen boomenden Titelseiten-Auktionen, sondern von etwas Subtilerem. Eine Reihe von Arbeiten auf Papier, die noch nie zuvor gesehen wurden und bis heute von der Familie des Künstlers aufbewahrt werden. Als wären es Notizen, Geflüster, mit leiser Stimme ausgesprochene Gedanken. Aber gerade deshalb noch wertvoller.
Beim Betrachten hat man fast das Gefühl, als würde man sein Atelier auf Zehenspitzen betreten. Kleine Blätter Papier, mit leichten, mit Bleistift gezeichneten Umrissen oder farbigen Skizzen in Gouache. Nicht der monumentale Künstler, sondern der Mann, der denkt. Was für ein Test. Das bleibt in Erinnerung.
Manche Kompositionen bestehen nur aus Linien, nervös und schnell, wie die Kritzeleien eines Traums, der nicht vergessen werden will. Andere explodieren vor Farbe, mit roten und grünen Silhouetten, die zu tanzen oder vor etwas zu fliehen scheinen, das wir nicht kennen. Es sind menschliche Figuren ohne Gesichter, aber voller Präsenz. Körper, die scheinbar sagen wollen: „Ich war auch da.“ Das Zeichen ist leicht, aber nie lässig. Als ob Nivola nicht nur mit seiner Hand, sondern auch mit seinem Gedächtnis zeichnete.
Dann erscheint zwischen diesen Blättern eine Postkarte. Kein echtes, aber etwas, das so aussieht. Mit Feder und Wasserfarbe gezeichnet, voller Adressen, Briefmarken, Schriften, chaotischen Szenen von Ländern, Menschen, Autos, Tieren, unmöglichen Gebäuden. Natürlich eine sardische Postkarte. Aber auch eine Botschaft für uns. Als hätte Nivola es uns jetzt, im Jahr 2025, von irgendwo anders geschickt, das weder New York noch Orani ist. Ein Ort, an dem wir immer noch über unsere Obsessionen und unsere kleinen täglichen Dramen lachen können, aber mit Zuneigung. Mit diesem ironischen und sanften Ton, den sich nur diejenigen leisten können, die tief lieben.
Es ist schwer, das Gefühl zu beschreiben, das eine Postkarte vermittelt. Denn es scheint zu sagen: „Ich sehe dich. Und ich verstehe dich. Aber sei vorsichtig: Du vergisst, wer du bist.“
Es gibt auch eine Zeichnung, die eine überfüllte Terrasse mit Tischen, plaudernden Menschen, Werbeschildern, Kindern, Männern in Anzügen und Frauen mit hochgesteckten Haaren zeigt. Eine banale Szene? Vielleicht. Aber voller Leben. Von jenen gewöhnlichen Leben, die in der Kunst oft ignoriert werden. Nivola hingegen tut dies nicht. Er sammelt sie, bewahrt sie auf und verwandelt sie in Geschichten. Und er widmet sie, mit einer sehr zärtlichen Botschaft, seiner Nichte.
Wenn man sich diese Werke heute ansieht – so fernab vom Rampenlicht, so intim – ist es, als würde man eine verschlüsselte Botschaft aus einem Sardinien erhalten, das nicht mehr weiß, wie es mit sich selbst kommunizieren soll. Es ist eine Einladung, sich daran zu erinnern, dass Identität nicht in offiziellen Reden, sondern in Details gefeiert wird. In Pflege. Aus Respekt vor denen, die uns die Wahrheit sagen konnten.
Denn Nivola war nicht nur Bildhauer. Er war ein Übersetzer der Welten. Er führte Sardinien kompromisslos in die Moderne. Er ließ es für Amerika, für die zeitgenössische Kunst und für die Architektur sprechen, ohne es jemals zu einer Postkartenfolklore zu machen. Er war durch und durch Sarde, doch sein Blick war universell. Und heute wird es paradoxerweise mehr draußen als zu Hause gehört.
Das ihm gewidmete Museum in Orani ist eine wichtige Institution, kann aber nicht allein bleiben. Wir brauchen mehr. Wir brauchen ein ernsthaftes, umfassendes und ehrgeiziges Projekt. Dazu gehören Schulen, junge Menschen, Künstler und Gemeinden. Möge es Nivola den Platz zurückgeben, den er verdient, nicht nur in Kunstkatalogen, sondern auch in der kollektiven Vorstellung der Insel.
Und wenn wir nicht wissen, wo wir anfangen sollen, könnten wir dort anfangen, beim Regionalpalast. Von jenen in Zement eingelassenen Murmeln, die heute wie Gefangene wirken. Denn die Leere, die diese Werke umgibt, ist nicht nur physischer, sondern auch kultureller Natur. Es ist die Folge der Vergesslichkeit und der Tatsache, dass Kunst zu oft wie Tapete behandelt wird.
Und so stellt sich die – zu lange aufgeschobene – Frage: Sollten wir diesen Werken nicht die Würde zurückgeben, die sie verdienen? Vielleicht sollten wir sie verschieben. Lassen Sie sie an einem Ort atmen, an dem sie gesehen, verstanden und geliebt werden?
Denn wenn es einen Künstler gibt, der der Welt von Sardinien erzählen konnte, ohne es jemals zu verraten, dann ist das er, Antine.
Simone Falanca – Schriftstellerin und Wissenschaftlerin