Worte sind selten neutral und manche sind es weniger als andere. Tatsächlich gibt es Begriffe, die wie Steine wiegen und die man wie Steine werfen und verletzen kann. Antisemitismus ist einer dieser Begriffe. Es ist ein Wort, das das 20. Jahrhundert dramatisch geprägt hat und leider nie aufgehört hat, aktuell zu sein. Gewalt und hasserfüllte Worte gegen das jüdische Volk haben tatsächlich eine jahrhundertealte und dramatische Geschichte, die nicht mit der Shoah endete. In den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts ist eine heimtückische neue Definition von Antisemitismus aufgetaucht, die den Schwerpunkt von traditionelleren Formen antijüdischer Vorurteile hin zu Feindseligkeit gegenüber Israel verlagert. Nach den Ereignissen vom 7. Oktober 2023 ist auch die politische und kulturelle Debatte Gegenstand einer Militarisierung und einer ernsthaften Verwirrung darüber, was Antisemitismus ist, was Antizionismus ist und was nicht.

Ausgehend von dieser Verwirrung bietet uns Valentina Pisanty – eine Semiologin, die sich seit Jahren mit dem öffentlichen Diskurs zu diesen Themen beschäftigt – in ihrem Aufsatz Antisemita. Ein Wort als Geisel (Bompiani, 2025, Euro 12,00, S. 176) eine äußerst klare Analyse des politischen Gebrauchs von Wörtern zur Rechtfertigung von Parteiinteressen.

La copertina del libro
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Ausgangspunkt des Wissenschaftlers ist das, was seit einigen Jahren in Israel passiert, in den Machthallen, die von der traditionelleren Rechten besetzt sind: eine substanzielle Gleichsetzung von Antisemitismus und Antizionismus, bei der die Kritik an den Entscheidungen der israelischen Regierung eine Selbstverständlichkeit ist Zeichen einer antisemitischen Haltung. Diese Entwicklung, die das Ergebnis der Radikalisierung typischer Positionen unserer Zeit ist, sichert der israelischen Führung einerseits die Unterstützung all jener Regierungen, die nicht im Entferntesten vom Verdacht des Antisemitismus berührt werden wollen. Andererseits wird dadurch eine Gleichsetzung zwischen dem israelischen Establishment und dem jüdischen Volk geschaffen, was die Gefahr birgt, jahrzehntelange Kämpfe gegen den Antisemitismus zu schwächen. Wenn man Antisemitismus und Antizionismus als dasselbe betrachtet, besteht das Risiko, dass sich dennoch jemand dazu entschließt, sich selbst als Antizionist zu definieren, um israelischen Entscheidungen entgegenzuwirken, und dabei den Vorwurf des Antisemitismus tatsächlich als etwas von geringer Bedeutung betrachtet , rein instrumental genutzt. Allerdings erinnert uns Valentina Pisanty: „Antisemitismus ist reines rassistisches Vorurteil.“ Antizionismus ist eine politische Position und wird als solche auf vielfältige Weise zum Ausdruck gebracht. Auch im Staat Israel gibt es Antizionisten. Pisanty vertritt dann eine sehr spezifische Definition von Antisemitismus, eine Definition, die 2016 von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) geprägt wurde: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die als Hass auf Juden ausgedrückt werden kann.“ Verbale und physische Äußerungen von Antisemitismus richten sich gegen Juden oder Nichtjuden und/oder deren Eigentum, Einrichtungen der jüdischen Gemeinde und Gebäude, die für Gottesdienste genutzt werden.“

Antizionismus mag daher übertrieben, unvernünftig und manichäisch sein, gehört aber zum Bereich der politischen Debatte. Antisemitismus ist es nicht. Denjenigen, die israelische Positionen kritisieren, die politische Debatte zu verweigern und dabei auf das diffamierende Stigma des Antisemitismus zurückzugreifen, trübt nur das Wasser und führt in der Tat zu den Mühlen der Holocaust-Leugner oder Verharmloser. Tatsächlich erinnert uns Pisanty daran: „Demokratie besteht aus der Möglichkeit, darüber zu diskutieren, was vernünftig ist und was nicht.“ Und da die Sprache für die Entscheidungsfindung in der politischen Debatte von wesentlicher Bedeutung ist, ist es in einem demokratischen Kontext nicht hinnehmbar, dass eines der Schlüsselwörter aus dem Lexikon genommen, seiner Funktion beraubt, in ein neues Gewand gekleidet und der Welt zur Schau gestellt wird als Garantie der Straflosigkeit für diejenigen, die ihre parteiischen Gründe mit aller Gewalt durchsetzen wollen. Wer den Begriff „antisemitisch“ im Sinne der IHRA-Definition verwendet, muss wissen, in welche, nicht nur sprachliche, Mobbingkette er sich einordnet. Solange wir nicht erkennen, dass die Welt in eine Phase des totalen Krieges eingetreten ist, gewinnt man oder man stirbt, wovon die Rhetorik der Ausflüchte die natürliche Konsequenz ist.“

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