In der Nacht von Donnerstag auf Freitag, in den hektischen Stunden, in denen die EU eine Einigung über gemeinsame Schulden zur Unterstützung der Ukraine erzielte, erklärte Emmanuel Macron, dass es im Falle eines Scheiterns der amerikanischen Vermittlung in Florida Aufgabe der Europäer wäre, mit dem Kreml zu sprechen. Diese Aussage aus seiner Pressekonferenz, die in Europa zunächst für Verwunderung sorgte, traf in Moskau hingegen einen Nerv. „Putin ist dialogbereit“, verkündete Kremlsprecher Dmitri Peskow. Und innerhalb weniger Stunden hat sich die Verhandlungslage zur Ukraine für die kommenden Wochen grundlegend verändert.

„Macron sagte, er sei bereit, mit Putin zu sprechen. Es ist wohl sehr wichtig, sich daran zu erinnern, was der Präsident am vergangenen Freitag auf seiner jährlichen Pressekonferenz sagte: Er bekundete seine Gesprächsbereitschaft mit Macron“, erklärte Peskow, gerade als die Möglichkeit eines Dreiergesprächs zwischen den USA, Russland und der Ukraine in Miami immer geringer wurde. Peskows Äußerungen folgten die des Élysée-Palastes, demzufolge es „jetzt, da die Aussicht auf einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen konkreter wird, sinnvoll ist, erneut mit Putin zu sprechen“.

Paris hat weder einen Zeitplan noch eine feste Uhrzeit für den geplanten Dialog mit dem russischen Präsidenten genannt, sondern lediglich erklärt, die Bedingungen des Treffens würden „in den kommenden Tagen“ festgelegt. Theoretisch ist ein persönliches Treffen somit möglich. Für die europäische Strategie in der Ukraine wäre diese Änderung bahnbrechend. Die Gründe für Macrons Kurswechsel lassen sich vorerst nur vermuten. Der Schritt des französischen Präsidenten spiegelt sicherlich den Wunsch der EU – und der Koalition der Willigen – wider, in den Verhandlungen eine führende Rolle einzunehmen, da die Sicherheit der Ukraine als Angelegenheit des gesamten Kontinents angesehen wird. Macrons Entscheidung könnte aber auch auf innereuropäischen Dynamiken beruhen. Angesichts des Aktivismus von Friedrich Merz seit seinem Amtsantritt als Bundespräsident schien Frankreich in den letzten Monaten etwas ins Abseits gerückt zu sein, geschwächt zudem durch innenpolitische Instabilität. Die Financial Times hob in ihrer Analyse des Europäischen Rates vom Donnerstag Frankreichs entscheidende Rolle in den Unklarheiten um die Nutzung russischer Vermögenswerte hervor.

„Macron hat Merz verraten“, erklärte ein hochrangiger Diplomat im Europa-Gebäude gegenüber einer britischen Zeitung. Ein hypothetisches Treffen mit Putin würde Paris daher wieder ins Zentrum der europäischen Diplomatie rücken – zum Nachteil Berlins. Hinzu kommt der Einfluss Donald Trumps, der die Entscheidungen des Élysée-Palastes beeinflusst haben könnte. Brüssels kategorische Weigerung, mit dem Kreml zu verhandeln, birgt die Gefahr, die Interessen der EU-Länder in der Ukraine zu überschatten, so wie Trump Brüssel ständig angreift. Ein strategisch und militärisch autonomes Europa – Macrons langjähriges Anliegen – muss selbst den gefährlichsten Gegnern die Stirn bieten. Macrons Vorstoß stößt bisher nicht nur bei der EU-Kommission, sondern auch bei anderen europäischen Staats- und Regierungschefs auf Schweigen. Der Élysée-Palast erklärte, er werde „transparent handeln“, doch das Risiko, dass Gespräche zwischen Paris und Moskau Europa spalten könnten, ist hoch. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat solche Versuche seinerseits nie negativ bewertet. Ob all dies dem Frieden näherkommt, bleibt abzuwarten. Macron selbst führte im vergangenen Juli ein Telefongespräch mit Putin, das erste seit drei Jahren. Die Ergebnisse dieses Gesprächs in Bezug auf den Krieg in der Ukraine waren gleich null.

(Unioneonline)

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